Soziale Arbeit studieren in Zeiten von Corona

Studierende des Studiengangs Soziale Arbeit bei der digitalen Abschlussbesprechung des Forschungsprojekts. © Hochschulkommunikation | Hochschule RheinMain

Das aktuelle Semester hat aufgrund der Corona-Situation überwiegend digital stattgefunden. Was das für das Studium bedeutet und wie sich die Lebenssituation von Studierenden gestaltet, war Gegenstand eines studentischen Forschungsprojekts am Fachbereich Sozialwesen. Studierende der Sozialen Arbeit haben im Rahmen des Moduls "Quantitative Forschungsmethoden" ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen aus den Bachelorstudiengängen des Fachbereichs befragt. Dabei ging es neben der Bewertung des Krisenmanagements der Regierung beziehungsweise der Gesundheitsbehörden insbesondere um die Digitalisierung der akademischen Lehre und mögliche Folgen der Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie für den Studienverlauf. Außerdem wurden die rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu möglichen Folgen der Maßnahmen für soziale Kontakte in unterschiedlichen Lebensbereichen sowie die Bereiche Kultur und Freizeit, Finanzen und Gesundheit befragt. Die Ergebnisse liegen nun vor.

Hohes Commitment der Studierenden zu staatlichen Maßnahmen

Nach Auswertung der Befragung schätzt ein größerer Teil der Studierenden die Maßnahmen zur Reduktion beziehungsweise Verlangsamung der Verbreitung des Coronavirus auf einer Skala von 1 (viel zu locker) bis 5 (viel zu streng) als "genau richtig" ein (41,3 %), mehr als ein Drittel bewertet die Maßnahmen zum Zeitpunkt der Befragung sogar als (viel oder eher) zu locker (35,1 %). Der Aussage "Ich halte die aktuellen Hygienemaßnahmen für angemessen" stimmen die Studierenden mehrheitlich (voll und ganz oder eher) zu (86,8 %). 95,3 % der Befragten geben an, die vorgeschriebenen Maßnahmen (Mund-Nasen-Schutz und Händewaschen) (voll und ganz oder eher) umzusetzen. Was die eigenen Voraussetzungen digitalen Lernens (technische Ausstattung, digitale Kompetenzen) angeht, so schätzen die befragten Studierenden ihre Situation besser ein als die der Lehrenden.

Die Eigenmotivation wird aktuell als größte Herausforderung im Online-Semester bewertet, gefolgt von der zeitlichen Selbstorganisation und dem selbständigen Lernen. Im Mittel zeigen sich die Studierenden mit dem aktuellen Semester im Vergleich zu einem "regulären" Semester unzufriedener, als mit der Situation in anderen Lebensbereichen. Im Durchschnitt wird die Zufriedenheit auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 5 (sehr zufrieden) mit 2,59 (SD=1,15) bewertet. "Mich hat gewundert, dass viele das Online-Semester so positiv aufgenommen haben. Als Sozialarbeiter habe ich ja viel mit Menschen zu tun, dieser Kontakt fehlt aus meiner Sicht gerade sehr", so Max Carmanns, der im fünften Semester Soziale Arbeit studiert. Im Fokus stehen für ihn die Erstsemester, die sich teilweise mit einer neuen Stadt und einem neuen Umfeld vertraut machen müssten, "das halte ich für extrem problematisch".

Interessant ist die Beurteilung des Lernzuwachses im aktuellen Semester im Vergleich zu einem regulären Semester: Im Bereich digitaler Kompetenzen wird dieser tendenziell als höher bewertet, als im Bereich fachlicher Kompetenzen. Die Folgen der Corona-Maßnahmen für den individuellen Studienverlauf werden insgesamt sehr heterogen eingeschätzt. "Man hat in der Diskussion zu den Studienergebnissen gesehen, wie unterschiedlich es jedem geht. Es ist zum Beispiel ein Unterschied, ob man nah an der Hochschule wohnt oder weiter weg", so Elsa Welling von der studentischen Forschungsgruppe. Auch die Voraussetzungen digitalen Lernens und das jeweilige Fachsemester machen einen Unterschied.

Kontakte, Nebenjobs und Gesundheit

Nicht nur an der Hochschule, sondern insgesamt geht mit der Pandemie eine starke Abnahme sozialer Kontakte einher. So hat die Zahl der Personen, zu denen die Studierenden regelmäßig Kontakt haben, bei 81,4 % eher oder stark abgenommen. Fragen zur Finanzierung des Lebensunterhalts wurden von der Studierendengruppe ebenfalls gestellt: Gut ein Viertel der Befragten am Fachbereich Sozialwesen hat im Zuge von Corona den Nebenjob verloren, 16,1 % haben aktuell Sorge, ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Fast ein Sechstel hat sogar über das Sommersemester 2020 hinaus Angst um die eigene Existenz. 5,2 % der Befragten haben sich darum bemüht, den Corona-Nothilfefond in Anspruch zu nehmen, niemand aus der Gruppe der Befragten hat diesen erhalten. Für 50,4 % hat sich aufgrund von Corona finanziell nichts verändert. Gesundheitliche Themen waren auch Teil des Fragebogens. Knapp die Hälfte der Studierenden gab an, in Folge der Corona-Maßnahmen an körperlichen und/oder psychischen Beeinträchtigungen zu leiden. Jeweils gut ein Fünftel der Befragten berichtet über körperliche Beeinträchtigungen wie Rücken- und Nackenproblemen aufgrund eingeschränkter Bewegung (22,6 %) und psychische Beeinträchtigungen (z. B. Depressionen, Angstzustände; 22,1 %).

"Bessere Planbarkeit" im neuen Semester

Für das kommende Wintersemester ist in vielen Teilen noch mit einem digitalen Semester zu rechnen. Wie man die Situation für Studierende verbessern könnte, konnten die zukünftigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter schließlich auch kundtun. Im finanziellen Bereich wurde die Senkung des Semesterbeitrags und die Einrichtung eines Nothilfefonds der Hochschule angeregt. Zur gesundheitlichen Unterstützung sollten außerdem zusätzliche Angebote zum Studieren mit psychischer Erkrankung oder Belastung gemacht werden. Auch der Support im Bereich "Studieren mit Familie" war den Studierenden ein Anliegen. "Hier könnte mehr angeboten werden, die vorhandenen Angebote aber auch noch besser kommuniziert werden", sagt die Studentin Tatjana Münch, die darüber hinaus auch Verbesserungspotenzial in der Organisation und Strukturierung der Lehre sieht: "Das würde es leichter und besser planbar machen für die Studierenden."

Dies spiegelt sich auch in den Kommentaren zum aktuellen Semester wider: Neben dem durch Corona bedingten reduzierten Austausch mit Lehrenden sowie Kommilitoninnen und Kommilitonen sowie einem hohem Pensum in Form von Online-Lehre wurde die Optimierung des Terminmanagements genannt. Hier gab es einige konstruktive Vorschläge, was man aus Sicht der Studierenden im kommenden Semester besser machen könnte. Etwa bereits zu Semesterbeginn feste Termine einzuplanen, eine größere Auswahl an E-Books bereitzustellen, Vorlesungen aufzuzeichnen sowie Medien und Plattformen für die Lehre weiter zu vereinheitlichen.

Prof. Dr. Tanja Grendel hat zusammen mit Tutor Lars Bieringer das Forschungsmodul geleitet und die Studierenden bei der Konzeption und Auswertung der Online-Befragung begleitet. Für sie ist die Corona-Situation sozialwissenschaftlich ein spannendes Thema. "In der Corona-Diskussion haben Studierende eine vergleichsweise geringere Lobby. Das hat uns motiviert, die Ergebnisse auch öffentlich zu machen", so Grendel.

Zur Studie

Befragt wurden Studierende der Bachelorstudiengänge Soziale Arbeit (Vollzeit und Teilzeit), Gesundheitsbezogene Soziale Arbeit, Recht und Management in der Sozialen Arbeit sowie Bildung in Kindheit und Jugend in der Zeit vom 25. Mai bis 5. Juni 2020. Insgesamt 411 Studierende haben an der Befragung teilgenommen, 385 Fälle wurden in die Auswertung einbezogen. Bei Fragen kann Kontakt zu Prof. Dr. Tanja Grendel aufgenommen werden.

Im Herbst plant die Hochschule RheinMain eine offizielle Befragung aller Hochschulangehörigen zur Corona-Situation und den Auswirkungen auf Studium, Lehre, Forschung und Verwaltung.