Mit unverwüstlichem Optimismus für nachhaltige Lösungen

Prof. Dr. Ulrike Stadtmüller © Andreas Schlote

Prof. Dr. Ulrike Stadtmüller ist Prodekanin im Fachbereich Ingenieurwissenschaften der Hochschule RheinMain (HSRM) und beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit ihren Fachgebieten Verfahrenstechnik, Biotechnologie und Umwelttechnik. Im Interview verrät sie, welche Schritte zu einem Campus der Zukunft führen können und warum es sich lohnt, nachhaltigen Herausforderungen mutig zu begegnen.

Zu den Kernthemen, mit denen Sie sich in Forschung und Lehre an der HSRM beschäftigen, gehören die Gebiete Biotechnologie und Umwelttechnik. Welche Inhalte prägen dabei derzeit Ihre Tätigkeit und welchen Beitrag können diese zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft leisten?

Bei allen Produktionsprozessen und auch in jedem Zuhause entstehen Abfälle, Abwasser, Abluft und/oder Abwärme; sehr viele Firmengebäude stehen auf Grundstücken, die zumindest altlastverdächtig sind. Insofern ist es sinnvoll, im Bereich der Umwelttechnik zu lernen, wie man das wieder sauber kriegt. Zudem werden für jegliche Produkte Ressourcen benötigt, und jede einzelne ist wertvoll und verdient es, sehr gut genutzt und recycelt zu werden. Manche Ressourcen sind einmalig oder aus anderen Gründen kritisch – hier lohnt sich ein Umdenken. Produkte können demontagegerecht konstruiert und recyclinggerecht gefertigt werden, ein zeitloses Design wäre beispielsweise eine gute Idee, um Modekäufe überflüssig zu machen. Und wenn etwas ein vermeintliches Schnäppchen ist, erwarte ich von all meinen Studierenden, dass sie sich immer fragen, wer den wahren Preis dafür bezahlt, und sich dann verantwortungsbewusst verhalten – im Berufs- wie im Privatleben.

In der Biotechnologie werden Mikroorganismen, Enzyme und Viren genutzt, um Produkte zu generieren, die auf rein technischem oder chemischem Wege gar nicht oder nur mit viel größerem Aufwand, höheren Kosten und mehr Zeit hergestellt werden könnten. Viele der Prozesse werden bereits seit Jahrtausenden genutzt – etwa beim Bierbrauen oder Brot backen –, manche haben wir erst kürzlich entdeckt, und da wir überhaupt erst einen Bruchteil der existierenden Organismen kennen und auch nur einen winzigen Bruchteil des Stoffwechsels richtig verstanden haben, gibt es hier noch ungeheures Potenzial für neue Entdeckungen. Wenn man bedenkt, dass auf der Erde seit Milliarden Jahren Substanzen neu gebildet werden und dass davon fast alle inzwischen wieder abgebaut wurden, kann man davon ausgehen, dass Mikroorganismen biochemisch nahezu omnipotent sind – das ist eine gute Grundlage, um zuversichtlich in der Biotechnologie auf Entdeckungsreise zu gehen. Beide Fachgebiete sind also eng mit Nachhaltigkeit verbunden, wenngleich mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Ganz allgemein gesprochen – inwiefern wirken sich Nachhaltigkeitsaspekte auf Ihre Tätigkeiten in Forschung und Lehre an der HSRM aus? Welche Projekte gab es bereits, was ist für die Zukunft geplant?

Nachhaltigkeit basiert auf ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Die ökonomischen haben alle immer sofort im Kopf. Die ökologischen lehre ich in den Grundlagenfächern der Bachelorstudiengänge und auf einem höheren Niveau, das sehr von den Wünschen der jeweiligen Studierenden bestimmt ist, auch im Master. Die sozialen Aspekte betrachten wir immer mit, gerade die Studierenden der Umwelttechnik haben da einen sehr wachen Blick und fragen oft von alleine nach genau den richtigen und wichtigen Aspekten – das ist toll! Die ingenieurwissenschaftliche Technik findet sich nicht direkt in der Definition des Begriffes Nachhaltigkeit – aber es liegt im ureigenen ingenieurwissenschaftlichen Denken, dass Prozesse schneller, eleganter, mit weniger Material, weniger Energie, geringeren Kosten, mehr Arbeits-, Betriebs- und Nutzungssicherheit, längerer Lebensdauer, breiterer Anwendung und so weiter angestrebt werden – immer schon. Wenn ich aktuell etwas in Richtung Nachhaltigkeit verwirkliche, dann allerdings mehr im Rahmen meiner Tätigkeit als Prodekanin als in Studierendenprojekten.

Was möchten Sie Ihren Studierenden in Bezug auf Nachhaltigkeit in ihr zukünftiges Berufsleben mitgeben?

Das ist wie mit einem Schalter im Kopf: Wenn man einmal verinnerlicht hat, was mit diesem Begriff gemeint ist, wird man nie wieder „nachhaltigkeitslos“ denken können – insofern muss ich dafür sorgen, dass die Studierenden diesen Schalter bei sich finden und drücken, den ganzen Rest schaffen sie dann alleine. Sich für eine bestimmte Fragestellung entsprechendes Fachwissen anzueignen, ist nur eine Fleißfrage, daran wird es nie scheitern.

Als Prodekanin des Fachbereichs Ingenieurwissenschaften setzen Sie sich gemeinsam mit Ihren Kolleg:innen regelmäßig für verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit ein – von einem Fairteiler am Campus Rüsselsheim bis zu einer diverseren Studierendenschaft und der Förderung von Frauen im MINT-Bereich. Auf welche Erfolge blicken Sie besonders freudig zurück und welche Ziele möchten Sie in Zukunft noch erreichen?

Der Aufbau eines Technik- und Textil-Repair-Cafés war mir ein großes Anliegen. Ich konnte schon auf einige Ideen aufbauen und bin sehr stolz, dass wir es geschafft haben, dass ich dieses Projekt in so gute Hände legen konnte und dass es jetzt in Verbindung mit der Caritas, dem Rüsselsheimer Nachbarschafts- und Familienzentrum Böllensee und zwei Kollegen so super läuft. Der Aufbau eines Lebensmittel-Verteilschrankes war ähnlich, aber juristisch einfacher. Dieses Projekt liegt bei den Foodsavern in guten Händen und läuft prima, unser Hausdienst hat ebenfalls ein wachsames Auge darauf, dass der Platz ordentlich bleibt. Schön wäre es, wenn wir beizeiten auch zubereitete Lebensmittel vor dem Wegwerfen bewahren könnten, aber das braucht einen Kühlschrank und wird kniffliger – wäre aber ein gutes Projekt für die Zukunft, für das sich vermutlich auch das Studierendenwerk mit seinen Mensen interessieren könnte.

Das „Verschenke-Regal“ erfreut sich ebenfalls großer Beliebtheit: Es sieht zwar etwas kunterbunt aus, aber bisher ist alles weggegangen, was jemand reingestellt hat. Hier haben die Studierenden aus dem Umweltreferat des AStA den Hut auf und kümmern sich um alles. Bei einem Trinkwasserbrunnen hat uns die Hochschulverwaltung ebenfalls unterstützt. Jetzt können sich alle ihre Flaschen kostenlos mit sauberem Wasser füllen und wir sparen PET-Flaschen, verringern Mikroplastik-Emissionen, minimieren Emissionen fast jeder Art. Auch eine fahrrad- und fußgängerfreundliche Ausschilderung des Weges vom Bahnhof Rüsselsheim bis zu unserem Campus war mir wichtig, hier hat die Stadt Rüsselsheim prima mitgeholfen. Nicht zuletzt war der Aufbau der Senior*innenUni ein tolle Idee der Stadt, die ich mit Wonne realisiert habe. Auch das ist einer der Aspekte von Nachhaltigkeit: lebenslanges Lernen ohne bürokratische Hindernisse. Ich bin begeistert, wenn ich sehe, wie gut das auf allen Ebenen läuft!

Seit Herbst 2021 beteiligt sich die Hochschule RheinMain wie eben erwähnt an einem kooperativen Repair Café, das einmal pro Monat am Campus Rüsselsheim stattfindet. Wie wird es von den Rüsselsheimer Bürger:innen angenommen?

Es wird in der Bevölkerung super angenommen, die Termine sind immer ausgebucht, die Stimmung hervorragend und die Reparaturquote ist sehr hoch. Seit das Repair-Café bei uns im Foyer stattfindet, werden auch die Studierenden aufmerksam, dass hier was Spannendes läuft und kommen dazu. Das ist eine gute Entwicklung und hier können wir auch noch mehr Studierenden Platz bieten, um sich zu engagieren und zu lernen.

Wie stellen Sie sich den nachhaltigen Campus der Zukunft vor?

Wir machen gerade einen Riesenschritt in diese Richtung, weil unser komplettes Campuszentrum umgestaltet wird: Viel Grün, mehr Bäume für mehr Schatten, insektenfreundliche Bepflanzung, klimataugliche Pflanzen, die Trockenperioden überstehen, ein Wasserspiel, das hauptsächlich über Solarenergie betrieben wird – mit nur einem winzigen Speicher. Kommt eine Wolke, ist die Fontäne ganz klein, wenn es regnet, ist sie aus (und wird auch nicht gebraucht), wenn die Sonne vom Himmel brennt, sprudelt es ganz doll. Außerdem bauen wir gerade Lernräume für unsere Studierenden um: Rückenwärmende Sofas, viele Netzstecker, gutes WLAN und Tische sowohl für Gruppen- wie auch für Einzelarbeit. So müssen im Winter weniger Einzelzimmer geheizt werden.

Wir nutzen darüber hinaus schon an einigen Stellen Solarenergie und bieten Stellraum für Leihfahrräder, wir haben ein Lastenrad zu verleihen und Möglichkeiten zur Fahrradreparatur. Es gibt Duschen für die Radfahrenden und überdachte Fahrradständer. Mehr in Sachen Energiesparen geht immer, mehr in Sachen Biodiversität auch – aber es ist schon ein guter Anfang. Das Projekt „Wohnen gegen Hilfe“ ist auch ein Baustein in dieser Richtung: Bessere Nutzung von vorhandenem Wohnraum mit besserer Anbindung der älteren und der jüngeren Generation – das schützt vor Einsamkeit bei beiden und gibt viel Lebenserfahrung.

Gemeinsam mit vielen anderen Hochschulangehörigen haben Sie am Auftaktworkshop zur Nachhaltigkeitsstrategie der HSRM teilgenommen. Wieso liegt Ihnen das Thema am Herzen und was würden Sie sich zukünftig konkret für die nachhaltige Entwicklung unserer Hochschule wünschen?

Dass wir hier in unserem Teil der Welt über unsere Verhältnisse leben, ist ja kein Geheimnis. Die Faktenlage ist komplex und angesichts der zu lösenden Probleme könnte man auch resigniert das Handtuch schmeißen – aber das liegt mir nicht. Ich habe einen schier unverwüstlichen Optimismus und bin überhaupt nicht geneigt, nichts zu tun! Es gibt tausende von Lösungsmöglichkeiten und jede einzelne ist gut – dahin will ich unsere Studierenden mitnehmen und bin dankbar, in der Hochschule hierfür offene Ohren auf allen Ebenen vorzufinden.

Eine bessere Anbindung von Rüsselsheim an den ÖPNV würde ich mir wünschen (gerne auch in Richtung Groß-Gerau und in Nord-Süd-Richtung bei den Fernverbindungen), damit mehr Menschen vom Auto wegkommen können. Mehr Wohnheime und günstigen Wohnraum für uns alle finde ich erstrebenswert, damit das Pendeln aufhören kann und die jungen Menschen die Chance haben, zu eigenständigen Persönlichkeiten heranzureifen.
Und mehr Zuversicht für alle fände ich gut: Jammern kann jeder – es besser zu machen, gilt es! Nur Mut!