TAG 1 | 18.08.2020: RADVERKEHRSFÖRDERUNG IST MEHR ALS REINE INFRASTRUKTURPLANUNG

Tag 1 | 18.08.2020: Radverkehrsförderung ist mehr als reine Infrastrukturplanung

Hätte die Kritik an der Umweltspur abgemindert werden können, wenn die Kommunikation zwischen Planenden und Nutzenden neue Wege gehen würde? Bei Scholz&Volkmer, einer Kreativagentur für digitale Markenführung, die sich auch mit Fragen der digitalen Vermarktung von Mobilitätslösungen beschäftigt, wird die (digitale) Kommunikation eindeutig als Schlüsselelement eines nachhaltigen Wandels im Verhalten der Verkehrsteilnehmer betrachtet, der häufig in der kommunalen Anwendung und Planung unterrepräsentiert ist und häufig ungenutzt bleibt – auch wenn bereits Optionen bestehen. Mit der Radwende-App machte Scholz&Volkmer es vor: gefahrene Kilometer können hier als Währung den nächsten Stopp auf der Radtour versüßen, wenn das nächste Stück Apfelkuchen quasi kostenlos gegen die aufgebrachte Muskelkraft getauscht wird und zusätzlich durch die teilnehmenden Kommunen Maßnahmen zur Radverkehrsförderung umgesetzt werden. So kann Verkehrswende und insbesondere Radverkehrsförderung auch gehen – und wie es weiter geht im Bereich der Entwicklung von Maßnahmen zur Radverkehrsförderung könnte bald auch in kooperativen Workshops mit S&V im Rahmen des Studiums an der HSRM gemeinsam erarbeitet werden. Die Planungen laufen bereits. Doch auch Michael Volkmer macht klar: Ohne infrastrukturelle Maßnahmen für den Radverkehr geht es nicht.

Nach diesem ersten spannenden Stopp ging es zurück auf die Räder, in den Wiesbadener Stadtverkehr und raus aus der Stadt in Richtung Ginsheim-Gustavsburg („GiGu“). Auf der gut einstündigen Etappe am Rhein war die Sonne noch auf unserer Seite und motivierte umso mehr. Als wir in GiGu dann auf das engagierte und mit Snacks gerüstete Mobilitätsteam der Stadt trafen war die Freude dann noch größer. Andreas Hummel, Nicole von der Au und Mathias Richter berichteten von Herausforderungen für Kleinstädte und wussten dennoch auch die schönen Aspekte der kommunalen Arbeit zu betonen. Das pragmatische Team ist seit einiger Zeit administrativ geeint und hat einige Erfolge im Bereich der Radverkehrsförderung vorzuweisen. Durch direkte Beratung und Ansprache etwa hat das Team nicht nur einige Bauträger dazu bringen können auf Stellplätze zu verzichten – und damit den eigenen finanziellen Spielraum und den Stellplatzdruck für den MIV erhöht. Zudem lebt das

Team, was es predigt: das elektrische Lastenrad ersetzt einen PKW im Fuhrpark und die meisten Pendlerfahrten zur Arbeit wird das Team vom Rad getragen. Weiter so Team GiGu!

Aber auch die Stadt an Rhein und Main steht vor einigen Herausforderungen. Das Team erklärte uns, welche Bedeutung die gängige Förderungspolitik für kommunale Akteure aufweist und was für ein administrativer Aufwand mit der Ausstellung von Förderanträgen, insbesondere für kleine Kommunen, verbunden ist. Abhilfe könnte hier die Ermöglichung von ad-hoc Förderungen schaffen, damit zukünftige, kommunale Projekte zügiger anlaufen können. Eine konkrete bauliche Problematik stellte uns das Team Mobilität bei einer am Rheindamm gelegenen Radroute vor, die häufig Konflikte von Rennradfahrenden und Anwohnenden generiert. Die Harmonisierung dieser Verkehre stellte insofern eine Herausforderung für die Planenden dar, als unterschiedliche Nutzungen und Verkehrsgeschwindigkeiten hier auf einem verengten Raum aufeinandertreffen. Eine Verbesserung könnte eventuell durch effektivere Markierungen oder die gezielte Leitung von Radfahrenden über eine Radrouten-Priorisierung konfliktfreier Varianten auf digitalen Plattformen (beispielweise auf Komoot oder STRAVA) erzeugt werden. Eigentlich ein spannendes Forschungsthema für eine Bachelorarbeit…  

Im Anschluss an den Stopp in GiGu stand der (körperlich) anspruchsvollste Teil der Radtour an: 40 Kilometer Strecke in gut zwei Stunden bei satter Sonne. Doch je näher wir Darmstadt kamen, desto mehr und mehr Wolken bedeckten den Himmel. Bis uns nach gut eineinhalb Stunden, kurz vor Darmstadt bei Griesheim, ein Starkregen kalt erwischte. Die ungewollte Erfrischung konnte uns dennoch nicht aufhalten und so kamen wir, wenn auch etwas verschmutzt durch wassergesättigte Waldwege, etwas verspätet am frühen Abend in Darmstadt an und wurden verständnisvoll begrüßt. Und bekamen sogar von dem Mobilitätsexperten und -analyst Thorsten Friedrich in der quartierseigenen Mobilitätszentrale der Lincoln-Siedlung ein handliches Regencape geschenkt – leider etwas zu spät. Danke trotzdem!

In der Lincoln-Siedlung erwarteten uns Thorsten Friedrich von der HEAG mobilo und Martina Reece als Vertreterin der Abteilung Nahmobilität des Mobilitätsamtes Wissenschaftsstadt Darmstadt. Das Quartier fördert durch integrierte städtebauliche Planung und systematisches Mobilitätsmanagement, z.B. durch eine individuelle Mobilitätsberatung, eine autoreduzierte Mobilität und ist dabei sehr erfolgreich! Durch individuelle Beratungsgespräche können sich interessierte Bewohner der Siedlung informieren und werden dabei als Teil der Lösung und nicht des Problems verstanden. Der Ansatz fruchtet, denn die Quartiersgarage in

einem Baufeld der Siedlung ist mittlerweile nur noch zu 30% belegt. Durch verschiedene quartiersnahe Sharing-Konzepte können Anwohner nahezu ohne Einschränkungen auf den eigenen Pkw verzichten. Ein wirklich tolles Konzept!

Nach dem kurzen Rundgang durch das Quartier erwartete uns bereits der Radverkehrsbeauftrage Peter Rossteutscher der Stadt Darmstadt, der uns auf eine kleine Rundtour durch die Stadt einlud. Wir passierten einige Konfliktbereiche der Stadt, erfuhren jedoch auch, wie viel sich in der Stadt bereits verändert hat! Erst kurz vor unserem Besuch wurde in den Zentralstadt eine Fahrspur des MIV umgewandelt und ergänzt nun als geschützte Teilstrecke für den Radverkehr die Verbindung zwischen Bahnhof und Innenstadt. Der Radverkehrsbeauftragte ist optimistisch, dass die radverkehrsfördernden Maßnahmen der letzten Zeit gut ankommen und die Bevölkerung weiter ist als von Skeptikern angenommen. Und wir sind es auch!

Und so endete der erste schöne und aufschlussreiche Tag für uns in der Abendsonne am Darmstädter Bahnhof und legten die letzte Etappe nach Wiesbaden ausnahmsweise mit dem Zug zurück, in zufriedener Erschöpfung und gespannter Erwartung auf die nächste, spannende Tagestour am Mittwoch. Auch wenn die Tour an diesem sonnigen Tag seine ersten Spuren auf den geröteten Gesichtern einiger Radfahrer hinterlassen hatte.

Tag 2 | 19.08.2020: Radfahren macht Spaß – wenn es die Infrastruktur ermöglicht