Mobilitätsforschende untersuchen ÖPNV-Nutzung in Pandemie

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis Teralytics; Destatis (2020): Mobilitätsindikatoren auf Basis von Mobilfunkdaten. © Hochschule RheinMain

Busse und Züge, die zeitweise gar nicht oder nur mit geringer Auslastung fahren; Pendlerinnen und Pendler, die nur noch das Auto nehmen: Die drastischen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) sind offensichtlich. Doch was bedeutet das für die Ziele der Verkehrswende? Die IHK Köln hat in Zusammenarbeit mit der Hochschule RheinMain eine erste Analyse der Corona-Folgen für den ÖPNV in der Region Köln vorgelegt. "Die Studie belegt, dass die Pandemie eine ernste Gefahr für die Verkehrswende ist", sagt Dr. Ulrich S. Soénius, Geschäftsführer Standortpolitik der IHK Köln. "Es ist zwar erfreulich, dass die Politik in der Krise geholfen hat, das ÖPNV-Angebot aufrechtzuerhalten. Die eigentliche Bewährungsprobe folgt aber erst noch: Trotz der Lasten durch die Pandemie darf nicht bei den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur gespart werden." Am Ausbau der Infrastruktur und einer besseren Vernetzung führe weiterhin kein Weg vorbei.
Wichtig sei auch, die vorhandenen Mittel effizienter einzusetzen: "Wir brauchen eine Beschleunigung der Planungsverfahren und mehr Verkehrskompetenz in den Verwaltungen", sagt Soénius. Gerade in ländlichen Regionen sollten sich die Verkehrsanbieter als Mobilitätsdienstleister verstehen. "Wir sehen hier viele gute Ansätze. Manchmal enden Mobilitätsangebote aber an der nächsten Stadt- oder Kreisgrenze. Das wird den Bedürfnissen der Menschen in einer hochvernetzten Region nicht gerecht." In den vergangenen Jahren hat der ÖPNV in der Region Köln auch aus Sicht der regionalen Wirtschaft stetig an Bedeutung gewonnen. So stiegen etwa die Einnahmen der Verkehrsanbieter durch Job- und Großkundentickets kräftig an. Insgesamt werden rund ein Viertel aller Wege in der Region aus beruflichen Gründen zurückgelegt.

Die Corona-Pandemie, das zeigt die Studie, hat diese Entwicklung vorerst unterbrochen. Während nach dem ersten Lockdown bald wieder genauso viele Autos auf den Straßen unterwegs waren wie vor der Krise, war die Auslastung des ÖPNV noch vor dem zweiten Lockdown im Herbst weiterhin um rund 20 Prozent geringer. Im Frühjahr 2020 war sie im Vergleich zum Januar sogar um etwa 70 Prozent zurückgegangen. Weit weniger nachgefragt waren und sind auch die Dienste von Taxiunternehmen, deren Bedeutung für den ÖPNV häufig unterschätzt wird.
"Diese Entwicklung birgt mehrere Gefahren", sagt Soénius. "Erstens fehlen im ÖPNV-System Einnahmen. Zweitens ist zu befürchten, dass diejenigen, die jetzt mehr mit dem Auto unterwegs sind, dem ÖPNV dauerhaft den Rücken zukehren." Die Straßen seien jedoch schon vor der Pandemie überlastet gewesen. Mehr Staus würden die Erreichbarkeit der Unternehmen verschlechtern und die Logistik beeinträchtigen. Schwer abzusehen sei indes, ob die Home-Office-Nutzung auch nach der Pandemie stark verbreitet bleibe. "Die meisten Unternehmen können und werden nicht ausschließlich im Home-Office arbeiten", sagt Soénius. "Wenn jedoch dauerhaft mehr Menschen häufiger von Zuhause aus tätig sind, würde das die Verkehrsinfrastruktur in Spitzenzeiten entlasten. Das ist aber weder ein entscheidender Faktor, noch einer, mit dem man fest planen kann."

Struktureller Nachfragerückgang beim ÖPNV?

Die Pandemie hat nicht nur temporäre Auswirkungen auf die ÖPNV-Nachfrage. Es ist zu erwarten, dass es auch einen strukturellen Nachfragerückgang gibt, da sich die in den Lockdown-Phasen gebildeten Routinen auch nach der Pandemie fortsetzen. Das birgt die Gefahr, dass wir auf dem Weg einer nachhaltigen Mobilitätswende zwei Schritte zurückgehen", erklärt Prof. Dr. André Bruns vom Studiengang Mobilitätsmanagement. Neben der Ausweitung des ÖPNV-Angebots müsse man Menschen direkt ansprechen und auf individueller Ebene Möglichkeiten für nachhaltiges Verhalten aufzeigen. Dies gelinge zum Beispiel im Rahmen eines betrieblichen Mobilitätsmanagements, in dem Unternehmen als starke Partner der Öffentlichen Hand agieren.
Wichtig sei, das Verkehrssystem als Ganzes zu betrachten, sagt Bruns, und empfiehlt eine entsprechende Strategie für das Gesamtverkehrssystem zu entwickeln, "mit einem starken klassischen ÖPNV bestehend aus Bussen und Bahnen als Rückgrat, ergänzt um weitere, vielfältige Angebote wie Shuttle-Services, CarSharing, Mietfahrräder etc." Wichtig seien darüber hinaus auch eine räumlich differenzierte Strategie: Nur durch eine Kombination der Bausteine könne auch in den Randbereichen der Region ein attraktives Angebot des ÖPNV realisiert werden.

Für die Studie wurden verschiedene Datensammlungen und Untersuchungen zur Mobilität während der Corona-Pandemie ausgewertet und mehrere Interviews mit Expertinnen und Experten geführt.