Besitzt Du noch – oder sharest Du schon? Teilen schafft Luxus

Impressionen von der Veranstaltung © IMPACT RheinMain

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"Besitzt Du noch – oder sharest Du schon? Teilen schafft Luxus“. Zu diesem Thema luden die Koordinierungsstelle für Wohninitiativen und Baugemeinschaften der SEG Wiesbaden, das Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e. V. gemeinsam mit IMPACT RheinMain am vergangenen Samstagnachmittag zu Online-Fachvorträgen und -Workshops im Rahmen der Vortragsreihe „Wohn-Visionen“ ein. Sharing-Entwicklungen in den Bereichen Mobilität, Nutzung öffentlicher Flächen, Gestaltung von gemeinschaftlich genutzten Wohnräumen und Gemeinschaftswohnprojekten wurden von Expertinnen und Experten vorgestellt und mit diesen intensiv diskutiert. „Sharingangebote nehmen an Bedeutung zu, besonders in nachbarschaftlichen Quartieren“, so Heidi Diemer von der Koordinierungsstelle Wohninitiativen, die die Veranstaltung moderierte.

Carsharing kann Autos in großem Maßstab ersetzen.

Prof. Dr. Volker Blees, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule RheinMain und Leiter von AUSTAUSCH VERWALTUNG, sensibilisierte in seinem Vortrag für die Bedeutung der Verkehrsangebote am Wohnort, da sechs Siebtel aller Wege von hier beginnen. Somit sei genau hier der Zugang zu Sharingangeboten ausschlaggebend für deren Nutzung. Prof. Dr. Blees stellte verschiedene Mobilitätssharing-Angebote vor. Das kommerzielle und in der Regel öffentlich geförderte Bikesharing werde größtenteils als Ergänzung zum ÖPNV genutzt. Einen wesentlichen Erfolgsfaktor stelle hier die Dichte des Angebots dar. Die kommerziellen Bikesharingangebote und E-Tretroller seien sehr stark digital getriebene Produkte und stellten daher proprietäre Lösungen dar. Dies stelle laut Prof. Dr. Blees ein Problem bei der gemeinschaftlichen Nutzung dar; hier könnten Open Source-Lösungen eine Alternative sein. Im Bereich Carsharing zeigten bisher stationsbasierte Angebote stärker, dass Carsharing private Autos ersetze, wodurch Flächen in Städten für eine andere Nutzung gewonnen werden. Im ländlichen Raum gebe es Versuche, Ridesharing/Mitfahrangebote zu etablieren.

Dass man auch in „autofreien“ Quartieren flexibel mobil sein kann, zeigte Prof. Dr. Blees anhand von Lowtech-Sharing-Beispielen. Herausfordernd im Bereich Mobility Sharing blieben unter anderem die rechtlichen Rahmenbedingungen für den öffentlichen Raum und die nutzerfreundliche Verknüpfung verschiedener Angebote.

Wo soll Vergemeinschaftung und Teilen stattfinden, wenn die Räume fehlen?

Im zweiten Vortrag ging Prof. Dr. Michael May, Professor für Theorie und Methoden unter besonderer Berücksichtigung der Gemeinwesenarbeit und Leiter von QUALITÄT IMPACT, auf das Teilen von Freiräumen in der Stadt ein und öffnete die Perspektive auf kritische Aspekte und mögliche Perspektiven. So existiere eine Diskrepanz zwischen einem „Allmenderaub“ – das heißt Flächen werden der Öffentlichkeit durch Privatisierung genommen – und der politischen Erwartungshaltung von Nachbarschaftlichkeit.

Orte wie zum Beispiel Offene Häuser für Kinder und Jugendliche oder Stadtteilzentren nähmen ab und würden zum Teil von Kommunen veräußert. Die Folge sei eine moderne Verdrängung von Menschen, die auf größere öffentliche Räume angewiesen seien, weil sie zum Beispiel selbst auf sehr engem Raum lebten. „Geteilte“ öffentliche Plätze würden häufiger durch privatwirtschaftliche Events belegt und somit denjenigen zur Verfügung gestellt, die bereits über viel Raum und Fläche verfügen und anderen gesellschaftlichen Gruppen entzogen.

Prof. Dr. May warnte vor der damit einhergehenden Entpolitisierung: Der Zuwachs an industriellen Dienstleistungen hätte auch eine Dienstleistungsentwicklung im Sozialen zur Folge – diese biete nur ausgewählten Zielgruppen und unter bestimmten Voraussetzungen einen Zugang zu Angeboten. Darunter leidet eine Infrastruktur, in der Aneignung über Selbstorganisation möglich wäre und gefördert würde. Ein Spannungsfeld, indem auch die Soziale Arbeit gegenüber der Politik mit dafür streiten müsse, dass mehr öffentliche Räume zur Aneignung aller zur Verfügung gestellt werden müssen.

Kommunikation und Begegnung durch räumliche Gestaltung ermöglichen

Prof. Marion Goerdt, Architektin und Stadtplanerin an der Hochschule Trier, präsentierte architektonische Beispiele für neue Wohnformen, in denen das Teilen einen großen Stellenwert einnimmt: Wohnen im Cluster mit großzügigen Gemeinschaftsräumen für den Alltag, Wohnen in einer Groß-WG mit geteilten Küchen und Bädern und einem „Raumjoker“, den man flexibel hinzumieten kann oder das Wohnbeispiel Großhaushalt mit integrierter gemeinschaftlicher Großküche und angestellten Köchinnen und Köchen.

Der Planung von Gemeinschaftswohnprojekten gemein ist die Zielsetzung, Kommunikation und Begegnung im Alltag durch die räumliche Gestaltung zu ermöglichen. Dass das Leben auf weniger Fläche nicht beklemmend wirken muss, zeigte Prof. Goerdt eindrucksvoll am Beispiel eines Züricher Gemeinschaftswohnprojekts. Je größer ein Projekt, desto mehr Möglichkeiten ergäben sich auch, gemeinschaftliche Nutzungsräume zu realisieren, sowohl aus finanzieller Sicht als auch mit Blick auf die Nutzung. Denn, so ist Marion Goerdt überzeugt: „Der Luxus liegt im Teilen!“

„Wo Menschen zusammenkommen, entstehen Ideen und neue Nutzungen im Wohnumfeld“

Berit Herger, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Landesberatungsstelle Neues Wohnen Rheinland-Pfalz, zeigte in ihrem Vortrag auf, welche Bedeutung gemeinschaftliche Wohninitiativen haben. Mit Bezug auf eine Studie der Körber Stiftung von 2019 „(gem)einsame Stadt“ stellte sie heraus, dass Einsamkeit eine gesamtgesellschaftliche Problemlage darstellt, für die Wohnprojekte und Hausgemeinschaften ein Lösungsbeitrag sein könnten. Herger stellte auch die Frage nach dem Generationenvertrag in den Raum: „Der Generationenvertrag ist die geteilte Verantwortung in der Familie. Wenn die Familie nicht mehr zusammenlebt, muss der Generationenvertrag reorganisiert werden.“ Eine Möglichkeit für diese Reorganisation stellten Wohnprojekte und Hausgemeinschaften dar. Neben der gegenseitigen Unterstützung könnten solche Projekte auch Herausforderungen wie der Corona-Krise stabil begegnen. Abschließend verwies Herger noch darauf, dass solche Projekte nicht nur im „Bottom up“ funktionieren, sondern auch im „Top down“, wenn entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden und die Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner ausreichend mitgedacht wird.

In den anschließenden Workshops hatten alle Teilnehmenden die Möglichkeit, inhaltlich zu den Themen mit den Referentinnen und Referenten in den Austausch zu kommen