Hildegard-Codex
Hildegard von Bingen oder zumindest ihre unmittelbaren Nachfahren müssen die hier zusammengestellten Werke als die Quintessenz ihres Schaffens angesehen haben. Es ist nicht ganz sicher, ob der Codex noch zu ihren Lebzeiten (1098-1179) oder kurz danach entstanden ist. Unbestritten ist hingegen, dass zumindest Teile davon mit ihrem Wissen und ihrer Billigung in Angriff genommen wurden. In einem arbeitsteiligen Prozess entwarfen fünf bis sechs verschiedene Schreiber ihres Klosters Rupertsberg bei Bingen mehrere Teilwerke, die später zu einem „Sammelband“ zusammengeführt wurden. Der Einband (zwei mit Schweinsleder überzogene Holzdeckel) wie auch die berühmte Kette stammen wahrscheinlich nicht aus Hildegards Zeit, sondern eher aus dem 15. oder 16. Jahrhundert.
Im Einzelnen enthält der Codex
- die Visionstrilogie (Scivias, Liber vitae meritorum und Liber divinorum operum),
- das gesamte musikalische Werk (Symphonia, Ordo virtutum),
- die umfassendste Überlieferung der Briefe (Epistolarium),
- die sprachkundlich-experimentellen Schriften (Lingua ignota, Litterae ignotae),
- die Expositiones evangeliorum (eine fragmentarische Sammlung von Homilien),
- die Lebensbeschreibung (Vita Hildegardis) der Mönche Gottfried und Theoderich,
- den Brief an die Mainzer Prälaten (Ad praelatos Moguntinenses)
Außerdem ist ein theologische Fragen behandelnder „Brief der Villarenser Mönche nach dem Tode Hildegards“ enthalten (gemeint ist die Zisterzienserabtei Villers-la Ville in Brabant).
In der Einbandmakulatur findet sich ein Fragment eines zeitgenössischen Graduale (Scans auf "Fragmentarium").
Zur weiteren Orientierung:
Detaillierte Beschreibung des Riesencodex (G. Zedler 1931)
Lit.: Michael Embach: „Der Riesencodex“ in ders.: Die Schriften Hildegards von Bingen. Studien zu ihrer Überlieferung und Rezeption im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Berlin 2003, hier S. 36-65 (Erudiri sapientia, IV)
(Ebook im Netz der HLB RheinMain)