19. POETIKDOZENTUR : JUNGE AUTOREN – JAN WAGNER

Jan Wagner, Lyriker und Übersetzer, ist der neue Poetikdozent der Hochschule RheinMain und der Landeshauptstadt Wiesbaden.

Am 23. Oktober 2017 wird er sich im Rahmen der Veranstaltung „Ein Autor stellt sich vor“ zunächst an der Hochschule RheinMain präsentieren. Danach hält Jan Wagner im Wintersemester 2017/2018 noch zwei Vorlesungen in der Hochschul- und Landesbibliothek RheinMain (24.10.2017/17.1.2018) sowie zwei Lesungen in der Villa Clementine, dem Literaturhaus der Stadt Wiesbaden (29.11.2017/7.2.2018).

Biografie

Jan Wagner, geboren 1971 in Hamburg, lebt seit 1995 in Berlin. Er ist Lyriker, Übersetzer englischsprachiger Lyrik (Charles Simic, James Tate, Simon Armitage, Matthew Sweeney, Robin Robertson, Michael Hamburger u.v.a.), Essayist und Rezensent (Frankfurter Rundschau, Tagesspiegel u.a.) sowie bis 2003 Mitherausgeber der internationalen Literaturschachtel „Die Aussenseite des Elementes“.

Für seine Lyrik, die in über dreißig Sprachen übersetzt wurde, erhielt er eine Reihe Stipendien und Auszeichnungen, darunter den Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Tübingen (2011), den Kranichsteiner Literaturpreis (2011), den Paul Scheerbart-Preis (2013), den Mörike-Preis (2015), den Preis der Leipziger Buchmesse (2015), den Samuel-Bogumil-Linde-Preis (2016) und den Zhongkun International Poetry Prize der Universität Peking (2017). Zudem wurde ihm 2017 der Büchner-Preis verliehen. 

Jan Wagner über sich selbst

Ein paar Quadratzentimeter weißes Papier, bedruckt mit einer Handvoll Wörter – mehr braucht es nicht, um größte zeitliche wie räumliche Distanzen zu überwinden: Man blättert die Seite um – und ein Dichter der Tang-Dynastie spricht einem plötzlich aus dem Herzen. Ein Gedicht bringt auf kleinster Fläche ein Maximum an sprachlichen Mitteln, bringt Gegensätze und Paradoxien in Einklang, zum Klingen, ein Höchstmaß an Musik und Bedeutung. Dabei wahrt es die poetischen Grundtugenden von Überraschung und Regelbruch (ob es sich nun um fremde oder selbst gesetzte Regeln handelt) – und wird so zur größtmöglichen Freiheit auf engstem Raum.

Ich glaube, daß sich aus grundsätzlich allem ein Gedicht machen läßt. Die vermeintlich banalsten, im Alltag so leicht übersehenen Gegenstände enthüllen mit einem Mal ungeahnte poetische Qualitäten. Wer ansetzt, ein Gedicht über das Thema Freiheit zu schreiben, mag scheitern. Wer sich ganz auf einen fallengelassenen weißen Handschuh im Rinnstein konzentriert, wird vielleicht ein großartiges Gedicht über die Freiheit zustandebringen.

Mich interessiert die Spannung zwischen der Form, die ein Gedicht immer ist, und dem Spielerischen. Unreine Reime, auch andere Mittel, können das Strenge gerade traditioneller Formen unterwandern, ohne diese Formen bloßzustellen. Sie alle haben ihren Reiz, die Sestine mit ihrem Sechserspiel, die Villanelle mit ihren Wiederholungen. Man muß sie nicht als Beschränkung wahrnehmen; für mich wäre es im Gegenteil ein Verlust an Freiheit, diese Formen nicht dort zu verwenden, wo sie sich aufdrängen, weil ihre Eigenheiten dem Gedicht zugute kommen. Form kann so zu einem Korsett werden, in dem es sich besonders gut atmen läßt – wenn man sie nicht als Verpflichtung begreift, sondern als Prozeß, der die bildliche und gedankliche Entwicklung des Gedichts in vollkommen unerwartete Bahnen lenkt. Ein gelungenes Gedicht ist verblüffend und neuartig, weil es etwas so faßt, so sagt, wie es zuvor nicht gesagt worden ist, doch sollte es dabei so wirken, als sei es das Selbstverständlichste, es auf diese und nur auf diese Weise zu sagen, als habe man bislang nur versäumt, es so zu betrachten – aber immer schon gespürt, daß es so sein müsse. Unprätentiös, aber aus dem Vollen schöpfend. Vielschichtig, aber nicht willkürlich. In einem guten Gedicht wird ein Bewußtsein für das eigene Medium, für die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Sprache spürbar sein – ohne dies explizit zu thematisieren oder gar darüber das Sinnliche, den Bezug zum Dampfenden, Leuchtenden, Riechenden, Lärmenden, also: zur Welt zu verlieren. Ohne ihn wird es nicht zu jenem gelungenen Gedicht, von dem Dylan Thomas einmal sagte, es sei seinerseits ein Beitrag zur Wirklichkeit. Dies zu sein, wird auch das nächste, erst noch zu schreibende Gedicht versuchen – und es gibt ja immer nur dieses eine, noch zu schreibende Gedicht. Alles drängt zu ihm hin.

Termine

Ein Autor stellt sich vor
Jan Wagner im Gespräch mit Prof. Dr. Michael May
Montag, 23. Oktober 2017, 12:15 Uhr
Hochschule RheinMain, Wiesbaden
Campus Kurt-Schumacher-Ring 18, A-Gebäude
Clemens-Klockner-Saal, Raum 420, 3. Stock

Vorlesungen
Dienstag, 24. Oktober 2017, 19:30 Uhr
Mittwoch, 17. Januar 2018, 19:30 Uhr
Hochschul- und Landesbibliothek, Rheinstraße 55-57

Lesungen
Mittwoch, 29. November 2017, 19:30 Uhr
Mittwoch, 7. Februar 2018, 19:30 Uhr
Literaturhaus der Stadt Wiesbaden, Villa Clementine, Frankfurter Str. 1